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Da, wo vorher Kühe grasten und Apfelbäume blühten, wo sich die Wege zwischen der Süßwarenfachschule und dem stinkenden Tierpark "Fauna" kreuzen, da, zwischen Jugendherberge und Altersheim, wo früher kriegerische Flugabwehrkanonen donnerten und heute die Rauchfahnen der Müllverbrennungsanlage sacht gen Nordost ziehen, da duckt sich die Siedlung Laiken ins Gelände. Leicht bergan führt die schmale Straße hinein. Rechts und links säumen paradiesische Bepflanzungen die Einfahrt: die Garten- bzw. Forstanlagen der Nachbarn A und B. Eine ältere Frau, Nachbarin C, nestelt behutsam an einem Rosenblättchen. Die geblockte Phalanx der Flachbau-Fassaden wird sichtbar. Rechts tut sich ein weiträumiger Platz auf. Zahllose Garagen umgrenzen ihn. Mit vielfachem Echo quittiert er die scheppernd zuschlagenden Garagentore. Eine tolle Akustik! Hier müsste man bolzen oder Trompete spielen. Aber hinter dichtem Gebüsch, aus sicherer Deckung lauert aufmerksam Nachbar D, jederzeit bereits zu einer gnadenlosen Anzeige. Es stellt sich der Eindruck ein: hier herrscht Ordnung. So gleitet denn der Blick prüfend über die niedlichen Vorgärtchen. Und tatsächlich: kein welkes Blättchen hat sich hierhin verlaufen. Wohlgeordnet stehen Stauden, Pflanzen und Ranken, an Grenzüberschreitungen kaum zu denken. Ihr Schmuck unterstreicht schamhaft die herbe Strenge der Baugeometrie. Kein Unkraut, kein hervorragender Grashalm stört das Bild. Agrikultur pur! Auch die vielen Bemühungen originellen Fassadenschmucks und angestrengter Gestaltung der Eingangsbereiche (slalommäßig platzierte Aufstellsachen und Gehänge) bestätigen das: maßvoll-stilechtes Understatement, Exklusivität light. Man kann nur ahnen, wie durchdringend sich dieser Gestaltungswille in die Häuser hinein fortsetzt. Mehrere spätmittelalterliche Frauen sieht man emsig damit beschäftigt, ihre Vorgärtchen zu pflegen. Eine bemüht sich krampfhaft, ihren Rasenmäher auf dem niedlichen Zierrasen zu wenden. Welch ein Eifer! Welch ein Engagement drücken diese Körper aus! Ein Vogel fliegt von Baum zu Baum, als wolle er das kontrollieren. Da braust ein Cabrio die Siedlungsstraße hinauf, bremst die enge, rechtwinklige Kurve an und verschwindet, ohne Staub aufzuwirbeln, die rechts und links parkenden Fahrzeuge sanft erzittern lassend. Ein anderes Fahrzeug versucht in ein Grundstück einzufahren. Einmal, zweimal, dreimal setzt die Fahrerin vor, zurück, vor, zurück. Geschafft! Diese Siedlung muss die Heimstatt wirklich begnadeter Autofahrerinnen sein. (Wieviel Fahrzeughalter heimtückisch von ihren Stammparkplätzen verdrängt wurden, ließ sich in der Kürze der Zeit nicht ermitteln.) Dezente Klaviermusik geleitet uns weiter bergan. Da dringt ein untergründiges Bohren Hämmern und Sägen an unser Ohr. Unsere Augen folgen dem Geräusch und unser Blick erfasst die fabulösesten Artefakte heimischer Werkkunst: Nachbar E im Schaffensrausch. Beeindruckt folgen wir dem Straßenverlauf und stehen staunend vor dem Autobunker des Nachbarn F, noch überragt von G's imposantem Wohnmobil. Anwandlungen des Globalen vermitteln sich. Mobile Moderne hat hier ihren Platz. Seine Bestätigung findet dieses in Gestalt des Nachbarn H, der, mit dem Handy in der Hand vor der Haustür stehend, seinen Sohn zu bewegen sucht, das Garagentor zu schließen, in Sichtweite, aber unhörbar, innovativ-dezent. Da fällt und I's "Klagemauer" ins Auge, überragt von einem galgenartigen Gebälk, das drohend über das Grundstück ragt, wie über eine "grüne Hölle". Entsetzt wenden wir uns ab und werden fast von einer rasenden Schubkarre erfasst, mit Nachbar J im Gefolge, maliziös lächelnd. Ein schnupperndes Dackelchen watschelt uns ehrfurchtsvoll auf einem kieselsteinchen-umrandeten Weg entgegen. Wie tröstlich: es gibt sie also doch noch, die Idylle. Aus den oberen Regionen der Siedlung nähert sich eine hohe Gestalt. Majestätisch schreitet sie voran, milde lächelnd huldvoll nach rechts und links grüßend, eine wahrhaft monarchische Erscheinung. Ob das der Siedlungsvogt ist? Niemand weiß es recht zu sagen und beugt sich demutsvoll zu Boden ..... um weiter Gartenunkraut zu rupfen. Nebenan sieht man Nachbarin K angestrengt in mühsamer Kleinarbeit Laub sammeln. Es nimmt einem den Atem, wenn man bedenkt, welch ungeheure Anzahl von Blättern verschiedenster Art und Größe von den vielen unterschiedlichen umherstehenden Bäumen hergeweht werden, sich ansammeln und aufgenommen werden wollen, auch aus dem Jenseits des eigenen Grundstückes. Von den Nadeln der Nadelbäume ganz zu schweigen. Aber unsere Ehrfurcht verfliegt schnell, denn hinterrücks nähert sich die Briefträgerin. Was bringt sie? Man sieht den Nachbarn L einen Brief in Empfang nehmen, quittieren, ihn öffnen, puterrot werden, im Haus verschwinden. Mit Knall schlägt die Haustür zu. Eisige Stille, nur das Wasser des autowaschenden Nachbarn M plätschert leise in der Ferne. Und der Brief? Er wird wohl vom Anwalt der Nachbarin N gewesen sein, die - begründet oder unbegründet - behauptet, L's Wasser mache ihre Zwischenwand nass. Jedenfalls sehr ärgerlich, sowas. Aber, was soll's. Das Leben muss weitergehen in der Siedlung. Nachbar M wäscht jedenfalls weiter, bis in die letzte Ritze, erst sein Auto, dann das seiner Frau und dann noch verschiedene andere. Währenddessen steht Nachbar O auf dem benachbarten Spielplatz an der Tischtennisplatte. Sehnsüchtig-drängend, doch äußerlich völlig ruhig wartet er geduldig auf seinen Spielpartner. Da nähert sich ein Wagen, der von P. Nachbarin Q, gerade ihre Mülltonne auswaschend, beobachtet es genau: P wendet und setzt rauschend zurück in seine Stichstraße. Wasser spritzt. M's Wascheimer schwankt, Zaunholz splittert. Die Böschungsmauer des Nachbarn R nur knapp verfehlend, kommt P's Wagen vor der Haustür zum Stehen, die Zuwegung zum oberhalb liegenden Gartengelände total blockierend. P entsteigt dem Fahrzeug und schreitet unbewegt - das imposante Bauwerk seiner Nachbarin samt Vorbau völlig ignorierend (dabei wäre nun wirklich einer eingehenden Betrachtung wert) - auf seine Haustür zu. Einen geschickten Slalom um zahllose vorgelagerte Blumentöpfe, -Kübel und -Container vollführend, verschwindet er. Ob das ein Nachspiel hat? Der Kopf der Nachbarin Q verschwindet jedenfalls wieder in der Mülltonne. M hält erstarrt den Putzlappen in der Hand und O (an der TT-Platte) schaut stirnrunzelnd zum Himmel. Ist das eine Szene!!! Irgendwas brennt.
Oder? Sonor brummend vermittelt sich dem Ohr ein neuer Eindruck. Ein Knirschen und Rattern setzt ein: Nachbar T hat die richtige Stelle gefunden und bohrt sich ein neues Loch. Noch weiß niemand wofür. Unser Blick gleitet über Überfelds Feld. Ein reicher Bestand an hohen Bäumen schmeichelt dem Auge und erlaubt zahllose Zweigniederlassungen. Man erkennt gleich: hier in Laiken ist man gut zu Vögeln Ein ausgedehntes angrenzendes Gartengelände, parkähnlich, lässt an Friedhof denken. Zeugt es nicht vom Weitblick der Anwohner? So sieht geplante Zukunft aus, bei gleichzeitiger Heimatverbundenheit, Bodenständigkeit und Gegenwartsnähe. Ein Ruf tönt durch die Siedlung. Pit, der Kater, nähert sich. Lässig und lahm hinkt er zum abendlichen Napfleeren. Nachbarin Q wischt sich die arbeitsfeuchten Hände an den Schenkeln trocken, insgeheim auf die Kunst am Bau hie und die wolkenhaft üppigen Gardinen dort linsend (Nachbarschaft ist anregend) und verschwindet im Haus. Zögerlich lässt die Stadt die Straßenlaternen aufglimmen. Der Abend senkt sich über die Siedlung. Nur Nachbar O steht noch fröstelnd an der TT-Platte. Einige verirrte Flötentöne hängen schwirrend in der dämmrigen Luft und bohren sich schmerzhaft in nachbarliche Ohren. Na, dann gute Nacht! Wer hätte vorher auch nur im entferntesten Traume daran gedacht, wie farbig sich das Leben unter, vor und zwischen diesen antennenbewehrten Flachdächern den unauffällig betrachtenden Augen, Ohren und Nasen darbietet ???
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